Still – Chronik eines Mörders von Thomas Raab

Still – Chronik eines MördersIn dem kleinen Dorf Jettenbrunn wird am 6. Dezember 1982 Karl Heidemann geboren, und das ganze Dorf begibt sich mit kleinen Gaben zum Haus von Charlotte und Johann Heidemann, um das neue Leben willkommen zu heißen. Die Nachbarn betrachten das lauthals schreiende Kind, das sich trotz aller gut gemeinten Ratschläge von seiner Mutter nicht beruhigen lassen will und versichern den besorgten Eltern: Es gäbe keinen Grund zur Sorge. Doch der Junge schreit weiterhin, und sein Geplärre ist in ganz Jettenbrunn bis in die Wälder hinein zu vernehmen. Als er endlich weit nach Mitternacht vor Erschöpfung einschläft, kehrt eine für das ganze Dorf erlösende Stille ein, die aber nur von kurzer Dauer ist. Denn auch in den nächsten Tagen brüllt das Kind aus Leibeskräften und verschmäht die Brust der Mutter. Charlotte greift immer häufiger zu dem einzigen Mittel, das Karl, wenn auch nur für kurze Zeit, zu besänftigen vermag: Dem Fläschchen. Sein Geschrei wird von ihr als unstillbarer Hunger und ständiger Aufforderung zum Füttern gedeutet, was dem wachsenden Körperumfang des Kindes recht schnell anzusehen ist und zur Belustigung des dörflichen Stammtisches beiträgt.

Durch einen Zufall entdeckt Johann, dass der Junge ein hypersensibles Gehör besitzt und nur absolute Stille ihn beruhigen kann. Er richtet im Saunabereich in der Abgeschiedenheit des Kellers einen videoüberwachten Raum für seinen Sohn ein, der von nun an nicht mehr brüllt, und weil er die Stille so sehr liebt, auch nicht spricht. Dennoch ist Karl mit seiner Außenwelt mehr verbunden, als diese ahnt. Mit seinem feinen Gehör kann er auch auf größerer Distanz alles wahrnehmen, was um ihn herum geschieht und gesprochen wird. Auch die allwöchentlichen Hausbesuche von Dr. Albrecht Hofstätter und das rhythmische Stöhnen seiner Mutter Charlotte entgehen ihm nicht. Ausgerechnet an ihrem Geburtstag wird Charlotte von Albrecht Hofstätter abserviert, die sich daraufhin betrinkt und mit Karl zu einem nahegelegenen Weiher fährt. Vor seinen Augen steigt sie ins Wasser und beendet ihr Leben. Beim Anblick der Leiche seiner Mutter ist Karl fasziniert von der Ruhe und dem Frieden, den die Tote ausstrahlt. Erlöst sieht sie aus, eine verheerende Erkenntnis, die den halbwüchsigen Karl veranlasst, den Keller zu verlassen und eine blutige Spur voller Leichen hinter sich herzuziehen.

Bereits am Anfang des Romans „Still – Chronik eines Mörders“ von Thomas Raab erfährt der Leser, dass der Protagonist Karl Heidemann bereits tot ist. Der Erzähler berichtet im Rückblick sachlich und wertfrei über die Ereignisse, die sich zugetragen haben. Doch ist es gerade dieser Erzählstil, der den Leser gefangen nimmt und intensiv mitfühlen lässt. Unweigerlich stellt er sich die Frage, was aus dem hochbegabten Jungen, der sich das Lesen und Schreiben selbst beibringt, beachtliche Fähigkeiten entwickelt und ein begnadeter Künstler ist, alles hätte werden können. Doch wird er bereits als Kind zu einem Außenseiter, der von seinem Umfeld nur Ablehnung erfährt. Durch die weiteren Ereignisse entwickelt sich Karl Heidemann zu einem Soziopathen, der grausame Morde begeht. Die außergewöhnliche, ergreifende Geschichte beschreibt die Fehlentwicklung eines Menschen, für den der Leser tiefes Mitleid empfindet, obwohl er ein Serienmörder ist. Der Roman „Still – Chronik eines Mörders“ von Thomas Raab ist ein packender Psychothriller mit beträchtlichem Tiefgang, der unter die Haut geht und noch lange nachwirkt.

Still – Chronik eines Mörders von Thomas Raab

Still – Chronik eines Mörders
Droemer Verlag 2015
Hardcover mit Schutzumschlag
358 Seiten
ISBN 978-3-426-19956-5

Bildquelle: Droemer Verlag
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